16.06.2025

Taiwan Today

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Wirtschaftsminister der Republik China auf Deutschlandreise

01.07.1995
Die Zeiten sind vorbei, als ein Minister aus der Republik China auf Taiwan nur dann in die Bundesrepublik Deutschland einreisen konnte, wenn er getarnt als Vertreter eines Unternehmens oder als "Vorstandsmitglied" einer - notfalls auch fiktiven - Institution auftrat. Treffen und Gespräche mit den deutschen Amtskollegen waren in diesen Zeiten - wenn überhaupt - nur unter größtmöglicher Geheimhaltung in irgendwelchen Hotelzimmern möglich.

Wenn sich auch bei den letzten Ministerbesuchen aus Taiwan in Bonn schon das eine oder andere verbessert hatte, so fand der Wirtschaftsminister Chiang Pin-kung diesmal kaum Zeit zum Atemholen. Ein Termin jagte den anderen. Mit drei Bundesministern - Günter Rexrodt, Wirtschaft, Matthias Wissmann, Verkehr und Carl-Dieter Spranger, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - führte er in deren Amtsstuben Gespräche.

Chiang hielt sich mit einer großen Delegation, der 60 Vertreter aus Ministerien, darunter den Fachleuten für das Hochgeschwindigkeitszugsystem, für Umweltschutz und Technologietransfer, und Firmenvertreter angehörten, vom 1. bis 7. Juni in Deutschland auf.

Als erste Handlung auf deutschem Boden unterzeichneten Minister Chiang und Dr. Manfred Schneider, der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG, in deren Konzernzentrale in Leverkusen eine Vereinbarung zur Förderung der Geschäftsbeziehungen zwischen Chemieunternehmen in Taiwan und Bayer im Rahmen der 1993 von Taiwan begonnenen "strategischen Allianzen" mit weltweit agierenden ausländischen Firmen. Eine ähnliche Vereinbarung war bereits im letzten Jahr mit Siemens getroffen worden. Bayer beschäftigt in der 1989 gegründeten Bayer Taiwan Co. Ltd. 250 Mitarbeiter und erzielte 1994 einen Umsatz von 400 Millionen DM. Bayer plant darüber hinaus, in Taichung 349 Millionen US$ in ein Werk zur Herstellung von Polyurethanen und damit verwandten Stoffen zu investieren.

Für Wirtschaftsminister Günter Rexrodt ist Chiang kein Fremder: die beiden Minister trafen sich am 1. Juni in Bonn bereits zum dritten Mal. Im vorigen Jahr war Rexrodt in Taipei gewesen. Als "Geschenk" überreichte er seinem Kollegen die offizielle Streichung Taiwans aus der Länderliste "H", die am 1. Juli 1995 in Kraft treten wird. Damit fällt Taiwan nicht mehr unter die strengen Ausfuhrkontrollen für "Dual-use-Güter", was sowohl die Einfuhr von Hochtechnologie als auch die von Verteidigungswaffen aus Deutschland erleichtern dürfte. Die Tatsache, daß Taiwan auf dieser Liste stand - und natürlich der Druck aus Peking auf Bonn - hatten dazu geführt, daß U-Boote und Fregatten aus Deutschland nicht an Taiwan verkauft werden konnten.

Um den Wirtschaftsaustausch bei der Länder weiter zu verbessern, verabredeten die Minister, Konsultationen sowohl über ein Doppelbesteuerungsabkommen - das wegen der fehlenden diplomatischen Beziehungen vielleicht anders heißen müßte - als auch über ein Investitionsschutzabkommen aufzunehmen.

Rexrodt wies seinen Kollegen aus Taipei auf das große Interesse der Deutschen hin, ihr ICE-Hochgeschwindigkeitssystem nach Taiwan zu liefern. Chiang sieht aber nicht nur auf dem Gebiet der ICE-Technologie Bedarf für sein Land, sondern auch auf den Gebie­ten des Transportwesens und des Umweltschutzes. Jedenfalls benutzte der Minister - mit seiner ganzen Delegati­on - für die Fahrt zum Flughafen Frankfurt/Main den fahrplanmäßigen ICE von Hamburg, um ihn zu testen. Der französische TGV ist größter Konkurrent des deutschen Hochgeschwindigkeitszugsystems.

Dem Vernehmen nach wird Verkehrsminister Wissmann der Einladung Chiangs nach Taipei folgen. Taipei ist sehr interessiert daran, von deutschen Erfahrungen auf dem Gebiet der Privatisierung von Staatsunternehmen - und hier insbesondere von denen beim Privatisierungsprozeß der deutschen Bahn - zu profitieren.

Von Bonn aus fuhr Chiang nach Erfurt. Es war sein erster Besuch in den neuen Bundesländern. Die Wirtschaftsdelegation aus Taiwan wollte sich hier vor allem über das wirtschaftliche Klima und die Investitionsmöglichkeiten für Unternehmen aus Taiwan informieren. Für September ist in Taipei ein Investitionsseminar der neuen Bundesländer mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums der Republik China geplant. Zum besseren Kennenlernen schlug Chiang Städtepartnerschaften vor. Nach einem ausgiebigen Frühstück zusammen mit Ministerpräsident Vogel und einigen Firmenbesichtigungen machte Chiang einen kulturellen Abstecher nach Weimar, wo er dem Dichterfürsten Goethe die Ehre erwies und dessen Haus besuchte.

Das Pfingstwochenende konnte der Minister dann - wenigstens zum Teil - etwas zur Entspannung nutzen, indem er in Bremen nach Gesprächen mit dem Senat und den Besichtigungen von Werften zum Golfschläger griff. In Hamburg griff er am Dienstag dagegen zur Schere, um damit das Band zur Ausstellungseröffnung von Taiwans mit einem Preis ausgezeichneten Spitzenprodukten zu eröffnen. 97 taiwanesische Hersteller zeigten Beispiele ihrer preisgekrönten Produkte wie Computer, Sportartikel und Motorräder.

Gleich anschließend eröffnete Chiang die Dritte Deutsch-Taiwanesische Wirtschaftskonferenz, die zum ersten Mal in Hamburg und damit in Deutschland stattfand. Die vorhergehenden bei den Konferenzen hatten jeweils in Taipei stattgefunden. Der Minister warb um deutsche Investitionen auf dem Hochtechnologiegebiet, für die sein Land Steuerbefreiungen für die Dauer von fünf Jahren gewähre. Taiwan will auf jeden Fall durch die Entwicklung von Hochtechnologie den Anschluß an die auf diesem Gebiet führenden Länder der Welt finden. Dazu gehört auch der Abschluß von strategischen Allianzen, die Taiwan bisher mit 24 multinationalen Unternehmen - darunter Bayer und Siemens - eingegangen ist. Auch diesen Firmen sagt Taiwan Steuererleichterungen zu.

In Taiwan wurden von 1952 bis 1994 ausländische Investitionen in Höhe von 19,336 Milliarden US$ getätigt. Japaner waren daran mit 5,452 Milliarden US$, US-Amerikaner mit 5,43 Milliarden US$ und Europäer mit 2,385 Milliarden US$ beteiligt. Auf deutsche Unternehmen entfielen nur 370 Millionen US$. Deutschland ist allerdings Taiwans größter Handelspartner in Europa. Das Gesamthandelsvolumen betrug 1994 mehr als acht Milliarden US$.

Die Zeiten haben sich wirklich geändert: Auch in Hamburg rissen sich Politiker und Wirtschaftsbosse um Chiang. Die Konferenz der norddeutschen Wirtschaftsminister - Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein waren vertreten - lud ihn zu ihrem Treffen ein, und auch Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau sprach mit dem Gast aus Taiwan wie mit einem Freund.

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